Schuldnerberatungen der Caritas Eifel und Euskirchen bestätigen Probleme durch prekäre Beschäftigung – Expertentelefon zum Thema für die Bürger am 18. Juni – Schuldnerberaterin Andrea Zens hilft Ratsuchenden in Mechernich und Kall
Mechernich/Kall – Die bundesweite „Aktionswoche der Schuldnerberatung“, organisiert von der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV), thematisiert vom 15. bis 19. Juni die Probleme mit sogenannten „prekären“ und „atypischen“ Arbeitsverhältnissen. Auch der geplante 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird einen Schwerpunkt auf diese Thematik legen.
Mit den genannten Begriffen sind etwa Minijobs, befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Werkverträge und ähnliches gemeint. Merkmale dieser Beschäftigungen sind oftmals äußerst geringe Entlohnung, somit schwierige Existenzsicherung, wenig berufliche Perspektiven, mangelnder Einfluss auf die Arbeitssituation und fehlende Integration in den Betrieb. Häufig werden grundlegende Arbeitnehmerrechte wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Pausenzeiten und bezahlter Urlaub vorenthalten. Die beiden Caritasverbände im Kreis Euskirchen bestätigen, dass auch in ihrer Region die Zahl der Menschen zunimmt, die trotz Arbeit arm und überschuldet sind. Sie fordern unter anderem einen Rechtsanspruch auf Beratung, faire Löhne und bedarfsgerechte Sozialleistungen.
„Prekäre Beschäftigungen zählen mittlerweile zu den Hauptursachen für Überschuldung“, erläutert Dorothea Gehlen, Schuldnerberaterin der Caritas Eifel in Schleiden. „Wer ohnehin schon wenig verdient und darüber hinaus keine Chance auf ein festes Beschäftigungsverhältnis bekommt, läuft schnell Gefahr, in die Überschuldung zu geraten.“ Denn bereits kleine Krisen oder unvorhersehbare Ereignisse – beispielsweise die Reparatur am Auto, das zum Erreichen des Arbeitsplatzes zwingend notwendig ist – können das wackelige finanzielle Gebäude der Haushalte zum Einsturz bringen. Zudem beschleunigt die Überschuldung wiederum den Jobverlust bzw. verhindert von vornherein den Eintritt in Arbeit, weiß Kollege Norbert Telöken aus Simmerath: „Arbeitgeber, die von der Lohnpfändung eines Mitarbeiters wissen, insbesondere von mehrfachen Pfändungen, kennen den damit für sie verbundenen hohen Verwaltungsaufwand und Ärger. In manchen Fällen könnten sie sogar zu einem Drittschuldner werden. Das alles macht die dauerhafte Beschäftigung des Mitarbeiters oder eines Bewerbers leider unattraktiv.“
Andrea Zens von der Schuldnerberatung Mechernich stellt fest, dass manche Leiharbeitsverhältnisse schon nach weniger als drei Monaten wieder beendet werden. „Da man aber mindestens ein Jahr lang in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben muss, um Ansprüche auf das höhere Arbeitslosengeld I geltend machen zu können, rutschen diese Leute immer wieder vom prekären Arbeitsverhältnis in das niedrigere Hartz IV.“ Für Allerziehende sind diese Situationen einmal mehr heikel.
In Deutschland leben ungefähr acht Millionen Menschen von einem Niedriglohn, dessen Schwelle im Jahr 2010 bei 9,15 Euro brutto pro Stunde oder 1.802,- Euro brutto pro Monat angesetzt wurde. Bei 42 Millionen Erwerbstätigen macht dies eine Quote von rund 19%. Die Schuldnerberatungsstellen der Caritas bestätigen vergleichbare Zahlen: in Schleiden waren im Jahr 2014 von 62 Ratsuchenden 15 Menschen im Niedriglohnsektor tätig, das entspricht 24%. Die Quoten in Mechernich und Simmerath liegen bei 31% bzw. 25%.
Dorothea Gehlen berichtet aus ihrer Praxis: „Vor 14 Tagen kam ein Mann in meine Sprechstunde, der bei einer Leiharbeitsfirma arbeitet und immer erst freitags erfährt, bei welcher von zwei Eifeler Firmen er ab Montag für welchen Schichtdienst eingestellt ist – und das auch nur für diese eine Woche.“ Glücklicherweise liegen die beiden Betriebe für ihn im Umreis von 15 km, daher kann er sie mit seinem Roller gut erreichen. Denn ein Auto ist für ihn nicht finanzierbar: „Mit einem Nettoeinkommen von 1.100 € im Monat bei einer 35-Stundenwoche ist der Unterhalt eines PKW nicht machbar“, führt Dorothea Gehlen weiter aus. „Erschwerend hinzu kommt die Unsicherheit, dass er seine Finanzen nur von Woche zu Woche zu planen kann – wenn es in der Folgewoche keine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn gibt, fällt das Einkommen noch geringer aus.“
Die Kolleginnen des Caritasverbandes Euskirchen kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Von insgesamt 423 Ratsuchenden verfügten 210 über einen Arbeitsplatz , 56 dieser Erwerbstätigen (27 %) erhielten eine so geringe Entlohnung, dass sie ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) beantragen müssten, um das Existenzminimum zu sichern.
Neben Arbeitslosigkeit und Trennung oder Scheidung wird Einkommensarmut also zunehmend zum Überschuldungsfaktor. Was tun Schuldner nun, um Herr ihrer misslichen Lage zu werden? „Bei uns wird sichtbar, dass prekär beschäftigte Menschen versuchen, durch die Ausübung von zwei oder gar mehreren Jobs einen Weg aus ihrer finanziellen Misere zu finden“, berichtet Beatrix Salz von der Euskirchener Caritas. „Trotz harter, doppelter und dreifacher Arbeit verfügen sie dennoch kaum über ein Einkommen, das ihren Lebensunterhalt sichert.“ Zudem führen Mehrfachjobs auf Dauer zu Überlastung, die den Arbeitsplatzverlust wieder nach sich zieht. Von gesundheitlichen Folgen ganz zu schweigen.
Das in der Schuldner- und Insolvenzberatung angestrebte Ziel einer zweiten Chance für den Schuldner ist somit zum Scheitern verurteilt. Ihre Kollegin Martina Deutschbein macht auf eine weitere Folge der Arbeit in prekären Beschäftigungsverhältnissen aufmerksam: Altersarmut. „Wer lange Jahre immer nur durch Minijobs oder Ähnliches seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, hat bei Erreichung der Rentenaltersgrenze so geringe Rentenansprüche, dass zur Deckung des Lebensunterhaltes dauerhaft Grundsicherungsleistungen bezogen werden müssen. Wer dann nicht mehr in der Lage ist, zusätzlich einer geringfügigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, verfügt dann endgültig nur noch über ein Einkommen in Höhe des Existenzminimums, obwohl er lange gearbeitet hat.“
Die Berater der beiden Caritasverbände fordern daher dringende Maßnahmen, um eine Verbesserung der Situation herbeizuführen. Zum einen müsse es einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung geben, um die Schulden schnellstmöglich zu regulieren und nicht immer tiefer in die Schuldenfalle zu geraten; einige Kommunen ziehen sich in Folge einer Entscheidung des Bundessozialgerichts zunehmend aus der Förderung der Schuldnerberatung für Erwerbstätige zurück. Ferner müssen Sozialleistungen individuell ausgestaltet werden. Gerade für Familien mit Kindern ist der Mindestlohn von 8,50 € nicht existenzsichernd. Insbesondere der Anteil für Energiekosten – Strom, Öl und Gas – ist im Regelbedarf viel zu gering angesetzt, Energieschulden sind damit vorprogrammiert.
Die Übernahme von Energie- und Heizkosten muss bei Überschuldung in Form eines Darlehens oder als Zuschuss abgesichert werden. Außerdem gelte es einmalige Beihilfen wieder einzuführen; wer ein geringes Einkommen hat, kann sich größere Reparaturen oder grundlegende Anschaffungen wie Waschmaschine oder Kühlschrank nicht leisten. Betroffene in diesen Notlagen sind gezwungen, Finanzierungsangebote zu nutzen oder Darlehen beim Jobcenter aufzunehmen. Rückzahlungen sprengen jedoch häufig das ohnehin schon knappe Budget. Weiterhin solle die Leistung der Schuldnerberatung für ältere Menschen und Rentner bei der Finanzierung eine besondere Berücksichtigung finden. Denn kurze, wechselnde Beschäftigungen gehen nicht nahtlos ineinander, führen in der Regel zu unterbrochenen Lebensarbeitszeiten und somit zu Lücken bei der Einzahlung in die eigene Rentenkasse. Konsequenz im Alter ist, dass die Rente den Lebensunterhalt nicht decken kann.
Zur Beratung der Kreisbürger schalten die beiden Caritasverbände in der Aktionswoche ein Expertentelefon. Am Donnerstag, 18. Juni stehen in der Zeit von 10 bis 12.30 Uhr die Schuldnerberaterinnen mit fachlichen Auskünften zur Seite:
Caritas Eifel:
- Dorothea Gehlen, Ansprechpartnerin für die Stadt Schleiden sowie die Gemeinden Hellenthal, Blankenheim und Nettersheim, Tel. 0 24 45/85 07-276;
- Andrea Zens, Ansprechpartnerin für die Stadt Mechernich sowie die Gemeinden Dahlem und Kall, Tel. 0 24 43/902 98 11.
Zudem wird am 22. Juni, um 9.30 Uhr im Caritas-Haus Schleiden, Gemünder Str. 40, von der Eifeler Caritas eine Informationsveranstaltungen zum Verbraucherinsolvenzverfahren angeboten. Referentin ist Dorothea Gehlen.
pp/Agentur ProfiPress
Bildquellen:
- Team Schuldnerberatung 2015 (11a): Arndt Krömer/Caritas/pp/Agentur ProfiPress