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Dickes Lob für die Lit.Eifel: „Da kommt man gerne aufs Land“

Erster Höhepunkt des Autorenfestivals: Mit Bodo Kirchhoff las einer der Großen in Roetgen – Erfolgsautor präsentierte sich dem Publikum frei von jeglichem Dünkel – Neuester Roman „Verlangen und Melancholie“ ist eine sentimentale Erinnerungsreise

Roetgen – Das war für die LitEifel ein früher Höhepunkt zu Beginn der dritten Auflage des Literaturfestivals. Denn mit Bodo Kirchhoff gastierte einer der renommiertesten Erzähler in der Eifel. Kirchhoff las in Roetgen aus seinem jüngsten Roman „Verlangen und Melancholie“. Doch der Abend war mehr als eine Autorenlesung.

Seine 66 Jahre sieht man dem schlanken, gebräunten und entspannt wirkenden attraktiven Mann kaum an. Seit fast 40 Jahren ist der gebürtige Hamburger als Schriftsteller unterwegs, „mehrere hundert Lesungen“ habe er schon absolviert. Doch in Roetgen war von routinemäßig abgespultem Lesungsprogramm des Erfolgsautors nichts zu spüren. Im Gegenteil. Weil ihm die Distanz zu den rund 70 Zuhöreren in der Bürgerhalle zu groß war, appellierte Bodo Kirchhoff gleich zu Beginn, mit ihm auf Tuchfühlung zu gehen. „Ich mag es lieber, wenn sie mir näher sind.“ Das Publikum packte die Stühle, und so entstand in der großen Bürgerhalle ein fast schon intimer Vorlesezirkel auf Zeit. Dünkel hat Kirchhoff, der es sich aufgrund seines Renommees erlauben könnte, nicht.

„Verlangen und Melancholie“ heißt sein im vergangenen Jahr erschienener neuester Roman, aus dessen ersten Teil Kirchhoff einzelne Kapitel vortrug. Unterbrochen wurde die Lesung vom Blick hinter die Kulissen der Buchentstehung und Anmerkungen des Romanautors über Literatur und das literarische Schreiben allgemein. Das hätte trocken werden können, wurde es aber nicht. Denn Kirchhoff hat eine gut klingende  sonore Stimme, mit Gestik und Mimik unterstützt er den Vortrag, kurz: „Ich lebe meine Bücher“, wie er zugab.

Im Buch geht es um den Protagonisten Hinrich, ehemaliger Kulturredakteur, jetzt Rentner und verwitwet. Seine große Liebe und Ehefrau Irene stürzte sich in den Freitod. Hinrich versucht zu verstehen, warum. Das wird im Roman eine an wechselnden Orten spielende melancholische Erinnerungsreise. Gemeinsame Urlaube, die erlebte Sexualität, Naturerlebnisse rufen die Erinnerungen wach, assoziativ aneinander gereiht. Dazu die Suche nach den unklaren Ursachen für den Freitod. Das alles ist sprachstark, in Satzkaskaden erzählt, bei der die erzählte Zeit facettenreich und detailliert über verschiedene Zeitebenen hinweg geschildert werden.

Handwerklich ist Kirchhoffs Stil hohe Kunst, die gelegentlich fast schon überladen wirkt. Und dann tauchen immer wieder kleine Weisheiten oder Sinnfragen auf, die die Lebens- und Leidenserfahrungen Hinrichs ins Allgemeingültige heben. Etwa diese: „Was ist besser: den falschen richtigen Menschen seines Lebens gefunden zu haben, oder den richtigen falschen?“

Antworten gibt Kirchhoff in seinem Roman nur mittelbar – sie sind letztlich, ähnlich wie beim „Kleinen Prinzen“, in der Gefühlsgewissheit des Herzens zu finden. In Roetgen las er zum Beispiel die erste Begegnung Hinrichs und Irenes in einer Warteschlange vor dem Kino, und dieses kleine Kapitel wäre den Kauf seines Romans schon wert. Die Sekunden, als die beiden noch nichts voneinander wissen, der Zufall der Sitzplätze nebeneinander, die Stunden danach, als aus Unsicherheit in der ersten gemeinsamen Nacht Verliebtheit wird.

Die Zuhörer faszinierte Kirchhoffs Lesung, das war deutlich zu spüren. In der anschließenden Diskussion gab der Autor auch Persönliches preis. „Das Schreiben ist für mich alternativlos. Das ist das, was ich am besten kann“, gab er zu. Eine andere Berufswahl hatte sich für ihn offensichtlich in letzter Konsequenz nicht gestellt. Was denn das literarische Schreiben ausmache? „Nur ein Buch kann Sie wirklich aus Ihrer eigenen Zeitlichkeit in eine fremde entführen und mitnehmen. Das kann kein Bild, kein Film“, ist er überzeugt. Und gab seinen Zuhörern mit auf den Weg „nur das zu lesen, was Sie wirklich betrifft“. Dass Bodo Kirchhoff zu Beginn des Abends gemahnt hatte, nur das eigene Leseerlebnis werde einem Buch gerecht, eine Lesung biete das nicht, war da schon längst vergessen.

Den Veranstaltern machte der weltgewandte Homme de Lettres, der in Frankfurt und am Gardasee lebt, dann noch ein großes Kompliment: „Was Sie hier mit der Lit.Eifel machen, das ist ganz toll! Da kommt man gerne aufs Land!“

Stefan Lieser/pp/Agentur ProfiPress

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