Norbert Niemann Eupen

Kraftvolle Worte für Klang-Experimente

Bei der Lit.Eifel-Lesung in Eupen gab es großen Applaus für den Schriftsteller Norbert Niemann

Eupen – Wie Musik in Sprache übersetzt werden kann, das ist dem Schriftsteller Norbert Niemann in seinem vierten Roman „Die Einzigen“ auf geradezu kongeniale Weise gelungen. In den Genuss der eindringlichen, vom Autor temperamentvoll und mit Körpereinsatz vorgetragenen Schilderungen einer nicht dem Mainstream unterworfenen Musikrichtung kamen die Besucher einer Lit.Eifel-Lesung im Ikob-Museum für Zeitgenössische Kunst in Eupen. Und wer bis dato nicht wusste, wie avantgardistischer New Wave klingt, hatte am Ende dieses literarischen Abends zumindest eine Vorstellung, so explizit waren die von Niemann in Worte gefassten radikalen Soundexperimente der Musikerin Marlene, einer Figur im Roman „Die Einzigen“.

„Die Einzigen“ ist der Name einer New-Wave-Band in den 80er Jahren, die sich aus der Sängerin und Komponistin Marlene Krahl, dem Bassisten Harry Biehler und dem Komponisten und Textschreiber Sellwerth zusammensetzt. Der Roman beginnt mit der Beerdigung Sellwerths, auf der Biehler und Marlene sich nach Jahren wiedersehen.

Während Marlene ihrer Berufung zur Musikerin treu geblieben ist und buchstäblich mit Haut und Haaren für ihre Musik lebt, hat Harry einen Strich unter sein musikalisches Schaffen gezogen und führt als Erbe einer Seifenfabrik ein bürgerliches Leben. Von ihr als Frau und Künstlerin ist er aber nach wie vor fasziniert.

Dabei kann er anfangs mit Marlenes Musik wenig anfangen. Erst im Laufe des Romans tastet er sich an ihre Kunst heran und entwickelt ein Verständnis für ihre Kompositionen. Um dem Publikum in Eupen diese Annäherung an zeitgenössische Musik zu erleichtern, untermalte Niemann seine Lesung mit einigen Musikvideos, angefangen mit einem kleinen Exkurs in die Anfänge der elektronischen Musik am Beispiel des russischen Erfinders Leon Theremin, nach dem das elektronische Musikinstrument Theremin benannt ist. Eindrucksvoll waren auch die folgenden Beispiele wie die Videos der amerikanischen Musikerin und Performancekunst-Ikone Laurie Anderson und des Niederländers Michel Waisvisz, der mit den Händen elektronische Instrumente ansteuerte.

Derart mit dem New Wave bekanntgemacht, lauschten die Zuhörer anschließend nur umso faszinierter seiner Formulierungskunst, wenn es ihm darum geht, elektronische Musik in Sprache zu übersetzen. Denn „Musik ist keine Sprache“, lässt er Marlene an einer Stelle des Romans sagen, „Musik spielt direkt auf der Haut“. Dieses körperliche Empfinden der Töne fasst Niemann, der selbst ehemaliges Mitglied der New Wave Band „Diebe der Nacht“ ist, in so kraftvolle Worte, dass man den mitunter schmerzhaften Klang selbst zu spüren vermag.

Als Einheit von Maschine und Mensch beschreibt er Marlene und ihre Kunst, mehr noch, lässt er sie praktisch selbst zum Instrument werden: Am eigenen Körper versucht sie, mit Hilfe von Elektroden und Mikroprozessoren Klangproduktionen zu entwickeln.

Neben der Liebesgeschichte zwischen Harry und Marlene und der Unvereinbarkeit von Lebensentwürfen geht es Norbert Niemann in seinem Roman auch um das Diktat des kommerziellen Erfolgs. Dieser Aspekt war für Guido Thomé, Pressereferent im Kabinett von Isabelle Weykmans, Anlass, den Autor danach zu fragen, was er der Kulturministerin für Kultur, Beschäftigung und Tourismus in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens wohl mit auf den Weg gegeben hätte, wenn nicht eine Erkrankung ihre Teilnahme an der Lesung verhindert hätte. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: Es dürfe nicht alles wegrationalisiert werden, was markthinderlich sei, sagte Niemann, der sich vehement dagegen ausspricht, die Kultur zu ökonomisieren. Darüber entspann sich eine angeregte Diskussion mit den Zuhörern im Ikob-Museum für zeitgenössische Kunst, das seine Aufgabe unter anderem darin sieht, gesellschaftskritische, politische, soziale oder kulturelle Aspekte näher zu beleuchten und zu hinterfragen und damit den optimalen Ort für die Lesung bot.

Auf einen Büchertisch und die sonst obligatorische Signierstunde mussten die Lit.Eifel-Besucher ausnahmsweise einmal verzichten: Der Streik der deutschen Post hatte verhindert, dass Niemanns Bücher rechtzeitig nach Eupen gelangten.

Norbert Niemann, der eigens für die Lit.Eifel-Lesung aus seinem nur 50 Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernten oberbayrischen Wohnort Chieming angereist war, wollte seinen Aufenthalt in der Eifel noch verlängern und um einen Ausflug nach Aachen erweitern. „Wenn ich schon einmal hier bin, will ich mir auch den Dom und die Schatzkammer ansehen.“

pp/Agentur ProfiPress

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