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Letzte Runde

Fast jede dritte Kneipe hat seit 2001 in Nordrhein-Westfalen dicht gemacht und der Trend hält an. Wo aber auf dem Eifeldorf schon kein Hausarzt mehr ist, der Pastor nur ab und zu als ambulanter Seelsorger in die Pfarrkirche kommt, der Tante Emma-Laden schon lange geschlossen hat, bedeutet der Wegfall der Kneipe einen weiteren kleinen Dorf-Tod.

„Ne, eine Küche hatten wir nie. Wenn wir Männ hier am Tresen plänen, dann passt es nicht, wenn Fremde hinter uns speisen. Das muss man verstehen.“ Manfred Prinz, 68, ist seit 1980 Inhaber des „Gasthauseses Prinz“ im kleinen Mutscheid, einem Höhendorf oberhalb von Bad Münstereifel,  und hat eben so seine Prinzipien.

Es ist ein friedlicher Mittwochabend, „Bergfest“ der Arbeitswoche, also füllt sich der Thekenraum  offenbar verlässlich mit den „Männ“. Lauter Stammgäste, die hier ihr Feierabendbierchen trinken wollen und dabei gerne über Gott und die Welt reden. Vor allem gerne über ihre Welt.

Prinz serviert das frisch Gezapfte und lässt die Gäste kurz mit den Kolleginnen aus dem Serviceteam hinter dem Tresen allein. „Kommen Sie mal“, bittet der Kneipier und öffnet eine Tür zu seinem Saal mit – je nach Bestuhlung – 150 bis 180 Plätzen. Hier tagen seit Jahrzehnten die Vereine aus den umliegenden 13 Dörfern, die einst zum eigenständigen Amt Mutscheid gehörten. Heute sind alle ein Stadtteil von Bad Münstereifel. Hier wird gefeiert – von der Taufe bis zum Trauerkaffee.

Das Gasthaus in Mutscheid ist ein gutes  Beispiel dafür, wie man sich gegen das nach wie vor grassierende Kneipensterben wehren kann. Man muss einfach als Schankwirtschaft, wie sie offiziell genannt wird, zum Dorfleben dazu gehören. Was für Generationen selbstverständlich war,  ist es allerdings nicht mehr, Manfred Prinz spürt das doch in der eigenen Familie: „Mein Sohn will den Laden nicht übernehmen, vielleicht Eine aus dem Team“. Andernfalls wäre nach rund 150 Jahren bald die letzte Runde im Gasthaus Prinz gezapft.

Doch was tun gegen Fachkräftemangel, den nach einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DeHoGa) in diesem Herbst zwei Drittel der befragten Inhaber einer Gastwirtschaft als größtes Problem bezeichneten? Was tun gegen die bekanntermaßen eher unüblichen Arbeitszeiten in den Abendstunden und am Wochenende? Da muss ein Ruhetag – Manfred Prinz nimmt ihn immer dienstags – eben reichen.

Markus Ramers aus Freilingen will im September 2020 der nächste Landrat des Kreises Euskirchen werden. Und er ist deshalb schon jetzt auf Wahlkampftour – schließlich will er in den kommenden Monaten alle 294 Orte im Kreisgebiet besuchen. Ein „Format“  ist seine „Theken-Runde“, bei der er gezielt kleine Dorfkneipen besucht. Auch das Gasthaus in Mutscheid ist dabei, wo Manche ihn kennen: Ramers, Lehrer am St. Michael Gymnasium in Bad Münstereifel, unterrichtet einige Kinder oder Enkel von  Stammgästen, die auch heute in ihrer Kneipe sind.

Für eine knappe Stunde gehen alle Getränke auf Ramers’ Deckel, denn der will von den „Männ“, die es meistens vor dem Tresen sind, wissen, wo ihnen der Schuh drückt. Das sollen sie auf Bierdeckel schreiben, Ramers wird danach alle Fragen beantworten.

„Natürlich ist das wichtig, dass die Dorfkneipe erhalten bleibt!“, macht Ramers nicht nur bei diesem Thekengespräch-Abend in Mutscheid klar. Er wiederholt es auch wenige Tage später auf der nächsten Station seiner Kneipenrundreise durchs Kreisgebiet im altehrwürdigen „Meiershof“ seines Heimatdorfes Freilingen in der Gemeinde Blankenheim.

Hier sammelt er schon fast 20 mit Fragen an den Landratskandidaten ausgefüllte Bierdeckel der Gäste in der gut gefüllten Traditionskneipe ein. Der „Meiershof“, das belegt eine erhaltene Steuermitteilung, besteht seit Mitte des 16. Jahrhunderts am Platze. Seit 31 Jahren sind Reinhold „Käsper“ Schwarz mit seiner Frau Ingrid die Inhaber.

Natürlich mache ihn das auch ein bisschen stolz, auf einer solchen Kneipe zu seine, meint Käsper, doch von Gefühlen alleine kann er  sie nicht führen. „Früher war zum Beispiel Freitagabends und Sonntagvormittags zum Frühschoppen die Hütte voll. Das hat sich geändert“, so seine Erfahrung.

Der „Meiershof“ hat wie das Mutscheider Gasthaus ein „Sälchen“. 220 Plätze je nach Bestuhlung, ebenfalls eine Bühne. Hier treten der Musikverein, die Laientheatergruppe auf, hier wird Karneval gefeiert, hierhin kommen die Familien zu ihren großen Festen.

„Alles schön und gut“, meint Käsper, „aber es ist ungerecht, dass die Bürgerhäuser in den Dörfern unterstützt werden, und wir, die wir ein ähnliches Angebot vorhalten mit unseren Sälen, aber nicht!“ Landratskandidat Markus Ramers stimmt dem Wirt zu:  „Kneipen und Dorfsäle haben oftmals ihren eigenen Charme. Das sind keine sterilen Multifunktionsräume. Hier braucht es eine bessere Förderung.“  Er wolle sich dafür einsetzen, wenn er es zum Landrat schafft.

Wie in Mutscheid geht auch in  Freilingen trotz der Kandidaten-Visite das Thekenleben natürlich weiter. In einer Ecke wird am Stammtisch in Mutscheid geknobelt, in Freilingen geschockt. Und auch hüben wie drüben werden die kleinen Sparkästchen gefüllt, Leerung wie üblich am Jahresende. Wer dann gar nichts eingezahlt hat, muss eine Strafgebühr bezahlen.

Dass das alles nicht selbstverständlich ist, wissen sie zum Beispiel auch in Kall, wo ein eigener Verein  gegründet werden musste, um die Traditionskneipe „Gier“ zu erhalten. Dafür hat der Club der Idealisten allerdings zunächst einmal die ganze Kneipe renoviert. Mittlerweile bieten die Ehrenamtler monatlich ein Kleinkunstkonzert an, alle Termine in diesem Jahr waren ausverkauft. Beim alljährlichen „Schocken Turnier“ ist der Saal des guten Hauses  mit Teams am Vierertisch gefüllt, die um den „Luischen-Pokal“ spielen, benannt nach der legendären letzten Inhaberin.

In Schmidtheim wiederum war es schlicht ein Glück, dass man am Bahnhof Mitte dieses Jahres in der 130 Jahre bestehenden Gastwirtschaft Krumpen nicht zum letzten Mal die Stühle auf die Tisch gestellt hat. Gisela und Friedel Krumpen, die das traditionelle Haus 45 Jahre führten, haben ein junges Paar gefunden, das sich den Job zutraut.

34.371 Schankwirtschaften oder Kneipen gab es noch 2011 in Deutschland, sechs Jahre später war ihre Zahl auf 30.168 zum 31.12.2017 gesunken. Rund 500 Betreiber pro Jahr gaben auf. In manchen Vereinsheimen werde mittlerweile ein schon professioneller Kneipenbetrieb angeboten – aber ohne die ganzen Auflagen, die ein Gastronom erfüllen muss, heißt es von Seiten des Lobbyverbandes DeHoGa.

Diese Kritik ist genauso berechtigt, wie die Weisheit von Angebot und Nachfrage: Was macht eine Dorfkneipe denn einzigartig? Uwe Reetz, Musiker aus Kommern, kennt eine Antwort: „Ich trete ungefähr ein Dutzend Mal im Jahr in Dorfkneipen auf. Dann singen alle zwei Stunden lang kölsche Lieder rauf und runter. Das gibt es nur in der Kneipe!“

Bildquellen:

  • ramerskneipe: SPD Euskirchen