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Wolkenerforscherin im Burgturm

Lea Singer bei der Lit.Eifel in Heimbach – Autorin überraschte mit hörenswertem Vortrag – Ihr neuer Roman bringt Goethe und Romantikmaler Friedrich zusammen

Heimbach – Statt der angekündigten Autorin Antonia Baum, die aus familiären Gründen absagen musste, war die Münchnerin Lea Singer – ein Pseudonym der vielseitig begabten Publizistin Eva Gesine Baur – kurzfristig zur Lit.Eifel in die Burg Hengebach in Heimbach gekommen. Singer überraschte die Besucher zunächst, denn eine Autorenlesung bot sie nicht. Stattdessen aber einen packenden, frei gesprochenen Vortrag der promovierten und äußerst produktiven Kunst-, Literatur-und Musikwissenschaftlerin über „Die Anatomie der Wolken“.

So heißt auch ihr neuester Roman, in dem um 1810 Goethe und Caspar David Friedrich auf Vermittlung der heute unbekannten Porträtmalerin Luise Seidler zusammentreffen. Die Männer befinden sich zu diesem Zeitpunkt aus unterschiedlichen Gründen in Schaffenskrisen. Goethe, Geheimer Rat in Weimar, spürt die ersten Alterserscheinungen, gespiegelt in seiner Faszination für die junge attraktive Malerin. Später wird er seine Altersmelancholie in den berühmten „Marienbader Elegien“ reflektieren. Um 1810 hat sich Goethe, so Singer, auf seine ambitionierten naturwissenschaftlichen Studien zurückgezogen und sich in der Kunst für die Klassik entschieden: Das Wahre, Schöne, Gute soll es sein.

Dagegen stehe „der noch heute im Ausland berühmteste deutsche Maler“ Caspar David Friedrich: Ein ungestümer Geist, der in der Wildheit und Absolutheit der Natur die göttliche Ordnung erkennt, der sich das Individuum nur unterordnen kann. Künstler, das gilt für beide, haben die Mittel und die Erkenntnis, die Konfrontation und Einheit zwischen Mensch und Welt in die Kunst zu übersetzen und so Sinn zu stiften.

Hier setzte Singers kleine Wolkenkunde an. Ausgehend von Friedrichs Bild „Mönch am Meer“ mit dem aufgewühlten Wolkenhimmel über der See als Sinnbild der Existenzfrage des einsamen Betrachters am Strand, entwickelte die Autorin und Kunstwissenschaftlerin eine facettenreiche, offenkundig vielseitig recherchierte kleine Poetik und Kulturgeschichte der Wolken und der Wolkenforschung. Naturwissenschaftlich exakte Beschreibungen von Cirrus, Cumulus oder Stratus waren nicht ihr Thema.

Denn Lea Singer geht es ums Grundsätzliche: „Wolken sind das Meditationsobjekt, über die Wandelbarkeit und die Endlichkeit nachzudenken“ glaubt sie, „denn die Wolken waren immer schon da und werden bleiben.“ An irdische Zeitmessungen sind die flüchtigen Verfestigungen von Wasser oder Eiskristallen in der Atmosphäre nicht gebunden. Sie sind vergänglich und immer wieder neu.

Die Wolkenerforscherin benannte Beispiele für den Bedeutungswandel ihres Beobachtungsgegenstandes: „Träger des Göttlichen“ etwa waren Wolken in der Renaissancemalerei wie der  „Sixtinischen Madonna“ von Raffael, oder „eigentlicher Hauptdarsteller“ wie in Friedrichs „Mönch am Meer“. Heute sei von der Daten-Wolke („Cloud“) die Rede, aber auch von den Giftgaswolken im Ersten Weltkrieg, den Napalm-Wolken in Vietnam oder den Atombombenwolken über Hiroshima und Nagasaki. Die Wolke, so Singer, wurde säkularisiert und profan.

Erkennbar ist das etwa in der Beschäftigung mit dem Phänomen. Lea Singer hat weitere Beispiele entdeckt: In England gebe es die „Cloud Appreciation Society“, eine Vereinigung von Philantropen und Wissenschaftsamateuren, „die weltweit über 40.000 Mitglieder hat“, so die Autorin. Schon in den 1990-er Jahren sei der erste „Wolkenatlas erschienen, „Cloudspotter“ seien auf der Jagd nach ungewöhnlichen Formationen am Himmel: Träumer und Sammler zugleich.

Die Frage, wo es die schönsten Wolken gebe, beantwortete Lea Singer nicht. Welche die Schönste über dem Land ist, muss jeder für sich entscheiden. Dass auch ein weiß-blauer Sommerhimmel nicht nur über Singers bayerischer Heimat reichlich Prachtexemplare bietet, ist unbestritten. Lea Singer arbeitet derzeit an einer Biografie über Marlene Dietrich, die Ende nächsten Jahres erscheinen soll.

pp/Agentur ProfiPress

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